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Berliner Koalitionsvertrag zementiert fragwürdigen Status quo

Durchaus große Hoffnungen hatte die Fanhilfe Hertha BSC nach den Abgeordnetenhauswahlen, dass Fan- und Freiheitsrechte in den kommenden Jahren deutlich gestärkt werden. Mit Blick in den heute vorgestellten Koalitionsvertrag haben sich diese Hoffnungen jedoch in Luft aufgelöst.

„Es ist für uns völlig unbegreiflich, warum auch die zukünftige Berliner Koalition an der rechtswidrigen Speicherung von Fußballfans in der Datei ‚Szenekunde Sport‘ festhält. Die angekündigte allgemeine Überarbeitung der polizeilichen Datenerfassungssysteme ist viel zu kurz gegriffen und wird an den grundsätzlichen Problemen nichts ändern. Somit werden die von dieser Speicherwut betroffenen Personen auch in den kommenden Jahren weiter willkürlich stigmatisiert“, erklärt Fritz Müller, Sprecher der Fanhilfe Hertha BSC.

Weiterhin kritisiert die Fanhilfe Hertha BSC, dass eine erneute Vereinbarung zur Abschaffung der Datei „Gewalttäter Sport“ auf Bundesebene gänzlich fehlt. Dieses Vorhaben wurde vor fünf Jahren bereits vereinbart und ist zuletzt am Unwillen des Innensenators gescheitert. Positiv bewertet die Fanhilfe Hertha BSC hingegen die Ankündigung, dass die geschaffene Stelle der/des Bürger- und Polizeibeauftragten schnellstmöglich besetzt und entsprechend ausgestattet werden soll. Ebenso ist die Absage an eine flächendeckende Videoüberwachung und an den Einsatz biometrischer Systeme sehr wichtig, um die Freiheitsrechte der Berlinerinnen und Berliner nicht noch weiter willkürlich zu beschneiden.

„Der Gesamteindruck dieses Koalitionsvertrags lässt uns dennoch leider nur mit dem Kopf schütteln. Denn die wenigen positiven Ansätze können nicht über die grundsätzliche Law and Order Richtung des Vertragstextes hinwegtäuschen. Gab es in der letzten Woche auf Bundesebene durchaus einige positive Fortschritte zu erahnen, so wird in Berlin weiter ein fragwürdiger Status quo zementiert. Die wohl neue Bürgermeisterin Franziska Giffey zeigt augenscheinlich kein Interesse daran, den unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten mehrfach kritisierten Umgang mit Fußballfans zu überdenken und nimmt weiterhin alle Berliner Fußballfans in Sippenhaft. Wir sehen daher unsere Aufgabe in den kommenden Jahren darin, uns noch entschiedener und lauter für Fan- und Freiheitsrechte in Berlin einzusetzen“, stellt Fritz Müller abschließend klar.

Tätigkeitsbericht Fanhilfe Hertha BSC – Saison 2020/2021

Die abgelaufene Saison hat auch uns vor die große Herausforderung gestellt, unsere Arbeit ohne Stadionbesuche zu organisieren und am Laufen zu halten. Zu tun gab es auch reichlich, denn unter anderem die Vorkommnisse im Rahmen unseres Auswärtsspiels im Dortmunder Westfalenstadion aus dem Oktober 2018 beschäftigen uns noch immer. Dabei stand für uns die Unterstützung der angeklagten Personen im Mittelpunkt. Wir vermittelten bei Bedarf einen Rechtsbeistand oder beantworteten Fragen zu Vorladungen und Strafbefehlen.

Darüber hinaus begleiteten wir auch weiterhin die in der vorherigen Saison begonnene gerichtliche Aufarbeitung des Polizeieinsatzes und seiner Folgen. Nachdem die direkten Klagen gegen die Polizeidirektion Dortmund mit hanebüchener aber leider nicht überraschender Begründung eingestellt wurden, sind nunmehr noch zwei Klagen anhängig. Einerseits soll die datenschutzrechtlich problematische Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Roten Kreuz und der Polizei Dortmund überprüft werden, die darin besteht, dass diejenigen Personen, die vom DRK behandelt wurden, im Nachgang von der Polizei angeschrieben und um Zeugenaussagen gebeten wurde, da die Verletzungen ja vielleicht durch Pyrotechnik verursacht worden sind. Weiterhin läuft eine verwaltungsrechtliche Klage, welche die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes an sich in Frage stellt.

Im Zusammenhang mit diesem Spiel war ebenso das Thema Stadionverbote sehr relevant für uns, hatten doch zahlreiche Personen ein entsprechendes Schreiben von Borussia Dortmund erhalten, obwohl ihr Verfahren noch gar nicht abgeschlossen war. Bei einigen dieser Personen musste das SV im Nachgang auch wieder aufgehoben werden, da sie mit anderen Personen verwechselt wurden oder ihnen keine Taten nachgewiesen werden konnten. Dies nahmen wir zum Anlass, gemeinsam mit den Verantwortlichen von Hertha BSC und dem BVB nachgeholte Anhörungen zu organisieren, in denen Personen nach Abschluss ihrer Verfahren frei über die Geschehnisse des Tages sprechen konnten. Unser Ziel, den jeweiligen Vereinsvertretern vor Augen zu führen, dass Anhörungen eben erst im Anschluss an ein abgeschlossenes Strafverfahren sinnvoll sind, dürften wir erreicht haben, schilderten doch alle entscheidenden Personen im Nachgang diese Erkenntnis. Wir werden daran anknüpfen und weiter auf eine entsprechende Änderung der Stadionverbotsrichtlinie hinarbeiten. Bei diesem Thema sind wir auch im engen Austausch mit anderen Fanhilfen aus ganz Deutschland, denn nur mit gemeinsamem Druck ist es möglich auf diesem Feld Verbesserungen zu erzielen.

Auch die „Causa Dietmar Hopp“ ist ein bundesweit relevantes Thema, im Gegensatz zu bspw. der Fanhilfe aus Dortmund sind die von uns betreuten Verfahren mittlerweile allesamt abgeschlossen. In den meisten Fällen war leider das Akzeptieren des Strafbefehls die voraussichtlich günstigste Variante für die Betroffenen. Ein Herthaner war aufgrund seines Alters in Berlin und nicht in Sinsheim angeklagt, die Hoffnung aufgrund dieser räumlichen Trennung und der daraus möglicherweise resultierenden objektiveren Betrachtungsweise einen Freispruch zu erlangen wurde jedoch enttäuscht. Zwar wurde das Verfahren eingestellt, eine vom aktuellen Mainstream abweichende Rechtsprechung hätte jedoch eine Signalwirkung in Deutschland haben können. Nachdem die Verfahren beendet sind, gilt es nun, die Betroffenen zu unterstützen, was aufgrund der immensen Kosten des gesamten Dortmund-Komplexes ein Kraftakt für die gesamte Fanszene werden wird.

Ein weiteres Thema, welches ein Dauerbrenner unserer Arbeit ist, ist die Datenspeicherung über Fußballfans durch die Polizei. Auch im vergangenen Jahr haben wir zahlreiche Herthafans bei Abfragen aus den Dateien unterstützt. Das sowohl in der Berliner Datei „Szenekunde Sport“ als auch in der bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport“ im letzten Jahr zahlreiche Neuspeicherungen vorgenommen wurde, obwohl es keine Spiele mit relevantem Zuschaueraufkommen gab, zeigt für uns erneut, dass diese Dateien gelöscht werden müssen. Die Auswirkungen dieser willkürlichen Speicherungen für die davon betroffenen Personen sind enorm. Denn ein Eintrag in diesen Dateien kommt einer Vorverurteilung gleich, obwohl in den meisten Fällen gar kein strafrechtlich relevanter Vorfall dafür zugrunde liegt. Darüber hinaus gibt es keine automatisierte Auskunft bei Neueintragungen und die vorgegebenen Löschfristen werden regelmäßig ignoriert. Ein Zustand, der sich hoffentlich nach den Wahlen in Berlin und im Bund im kommenden Herbst ändern wird. Und wenn nicht, werden wir hier weiter dranbleiben und den Finger immer wieder in die Wunde legen.

Ebenso haben wir die Zeit ohne Stadionbesuche genutzt, um unsere Öffentlichkeitsarbeit weiter zu professionalisieren. Anfang 2021 ging unsere Homepage online, auf der ihr viele wichtige Informationen zu unserer Arbeit, aber auch zum richtigen Verhalten gegenüber Polizei und Sicherheitsbehörden findet. Schaut doch mal rein: www.fanhilfe-herthabsc.de. Darüber hinaus haben wir ein neues Logo eingeführt, welches fortan im Rahmen unserer Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden wird.

Ihr seht, wir haben in eurem Sinne die letzten zwölf Monate fleißig weitergearbeitet und dabei auch wichtige Grundlagen gelegt, damit wir mit voller Kraft durchstarten können, sobald wir alle wieder ins Stadion können.

Bleibt gesund und Ha Ho He!

Fanhilfe Hertha BSC

Black-Box Datei „Gewalttäter Sport“ – Zeit für den Schredder

In den vergangenen Monaten ist die bundesweite Datei „Gewalttäter Sport“ erfreulicherweise verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Grundlage dafür sind zahlreiche parlamentarische Anfragen an die Bundesregierung. Ebenso wurde in diesem Zusammenhang auch im Berliner Abgeordnetenhaus nachgefragt. Eigentlich soll das Fragerecht der Parlamentarier*innen dazu dienen, das Handeln der Regierungen zu kontrollieren bzw. nachzuvollziehen. Diese blockieren hingegen jegliche Aufklärung und drehen sich bei ihren Antworten im Kreis. Und das, obwohl in dieser Datei 7.841 Personen gespeichert sind (Stand: 04. Februar 2021, 19/26771).

Die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar hat seit Beginn des Jahres durch zahlreiche Anfragen versucht, Informationen u. a. zu den Speichergründen, Anzahl der Speicherungen sowie Zeitpunkten der Speicherung in Erfahrung zu bringen. Das im Zeitraum März bis Dezember 2020 insgesamt 1 056 Neueinspeicherungen erfolgten, obwohl dort keine oder nur sehr wenige Zuschauer in den Stadien waren, reicht eigentlich schon aus, um diese Datei zu entsorgen. Doch das zuständige Bundesinnenministerium (BMI) dreht sich nun auch bei der Argumentation, warum diese Personen unbedingt gespeichert werden müssen im Kreis. In der Antwort (Frage 12) vom 17.02.2021 heißt es:

„[…] Der Zeitpunkt der Neuspeicherung einer Person/eines Sachverhaltes in der DGS ist nicht zwingend an den Tatzeitpunkt gebunden. Neben der Frage der Sachverhaltsklärung im Rahmen notwendiger polizeilicher Ermittlungshandlungen, ist in Bezug auf die erforderliche Datenqualität vor einer Speicherung jeweils eine umfangreiche Prüfung des Einzelfalls über die Polizeibehörden der Bezugsvereine bzw. der Wohnort-Behörden notwendig, sodass zwischen Tatzeitpunkt und Eintrag in der DGS durchaus mehrere Monate liegen können. Darüber hinaus kam es auch im Zusammenhang mit Spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit (sog. Geisterspiele) teilweise zur Zusammenkunft von Fan-/ Störergruppen, z. B. in Verbindung mit dem organisierten Abbrand von Pyrotechnik sowie in Einzelfällen auch zu sog. Drittort-Auseinandersetzungen. […]“

Neben dem zeitlichen Verzug der Speicherung, den wir in der Praxis nicht feststellen können, sollen also laut BMI Zusammenkünfte am Rande der Geisterspiele für die Neuspeicherungen verantwortlich sein. Interessant ist nur, dass dasselbe Ministerium bei der Beantwortung einer neuerlichen Anfrage nun informiert, diese Gründe würden innerhalb der DGS gar keine recherchefähigen Datenfelder besitzen (19/28369, Frage 1 bis 8). Woher das BMI aber dann die Informationen hat, dass die Neueinspeicherungen auf dieser Grundlage erfolgen bleibt deren Geheimnis. Gewählte Abgeordnete und die Öffentlichkeit werden augenscheinlich an der Nase herumgeführt! Und als „Zugabe“ verweigert das BMI auch noch im Rahmen beider Anfragen eine öffentliche Aufschlüsselung der Vereinszugehörigkeiten mit Verweis auf die „Gefährdung des Staatswohls“. Es ist eine Farce.

Im März fragte der Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses, Niklas Schrader, den Senat, u. a. welche Anzahl an Speicherungen das LKA in den vergangenen zwölf Monaten vorgenommen hat. Auch hier dasselbe Bild: Im Zeitraum zwischen März 2020 und März 2021 wurden von der Berliner Polizei 91 Datensätze in die Datei „Gewalttäter Sport“ übermittelt (18/26920, Frage 4). Allein 46 Dateneinträge basierten laut Antwort der Innenverwaltung auf Personalienfeststellungen und hatten somit rein gar nichts mit einer Gewalttat oder Ähnlichem zu tun. Noch abenteuerlicher wird es aber bei der ebenso existierenden Berliner Datei „Szenekunde Sport“. Hier gab es im selben Zeitraum 71 Neueintragungen, davon 19 mit der Begründung „Gefährderansprache“ und 21 aufgrund von Identitätsfeststellungen. Und das alles auch hier in einem Zeitraum, in dem das Zuschaueraufkommen gegen null ging!

Es zeigt sich einmal mehr, dass diese Dateien auf Bundes- und Landesebene ein Eigenleben entwickelt haben, welches nicht mehr zu kontrollieren ist. Wer es dennoch versucht, wird bewusst blockiert und ausgebremst. Der Schaden für die betroffenen Personen ist hingegen enorm. Es ist endgültig Zeit für den Schredder!

Datenauskunft gibt es nur nach Klage

Anfang März klagten zwei Herthaner auf Datenauskunft aus der Datei Szenekunde Sport (siehe PM vom 11.03.19). Beide Personen erhielten vor Kurzem, rund acht Monate nach Antragsstellung endlich Antwort vom LKA Berlin. Die Kosten für das Verfahren muss nun nach den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts, die Allgemeinheit tragen.

Dazu erklärt die Fanhilfe Hertha B.S.C.:

„Die vom Polizeipräsidenten selbst vorgeschlagene vollständige Kostenübernahme ist ein klares Schuldeingeständnis. Auskunftsrechte werden systematisch missachtet. Der Steuerzahler muss nun für diesen täglich stattfindenden Rechtsbruch im LKA Berlin aufkommen.

Wir sind gespannt, wie lange sich die politisch Verantwortlichen in unserer Stadt dieses Trauerspiel noch tatenlos anschauen möchten. Weitere Klagen werden folgen, soviel ist sicher. Denn der Klageweg ist augenscheinlich für Betroffene die einzige Möglichkeit der Einsichtnahme in diese Datensammlung.

Missachtung von Auskunftsrechten, falsche Datensätze, verstrichene Löschfristen – die Liste an erheblichen Verfehlungen im Rahmen der Datei Szenekunde Sport ist lang. Ein „Weiter so“ kann und darf es nicht geben. Diese Datei muss gelöscht werden! Gemeinsam mit der Kanzlei Lau & Meyer werden wir alle Betroffenen dieser rechtswidrigen Praxis weiterhin vollumfänglich unterstützen. Dafür sind Fanhilfen da und daher ist unsere Arbeit auch so wichtig.“